Das Konzept des Waldkindergartens
Der Waldkindergarten ist eine Einrichtung zur Erziehung von Kindern als Gegengewicht zu unserer durchorganisierten, von technischen Abläufen bestimmten Lebenswelt, in der Zusammenhänge immer weniger durchschaubar sind, in der die eigene Gestaltungsmöglichkeiten immer geringer werden und viele Dinge vorgefertigt sind. Der tägliche Aufenthalt im Wald von drei bis vier Stunden am Vormittag, zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter, stellt einen unmittelbaren Bezug zur Natur her, in dem Lernen durch Beobachten, Anregungen zur eigenen Gestaltung, Entfaltung der Phantasie, Sensibilisierung und die Verknüpfung der Sinne und das Ausleben von Bewegungsdrang intensiver möglich werden. Die Liebe zur Natur entwickelt zudem ein ökologisches Bewusstsein.
Unsere Arbeit mit den Kindern orientiert sich am Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen Kindergärten.
Lernen mit allen Sinnen
Kinder nehmen die Welt nicht nur über das Denken, sondern hauptsächlich über die Sinne wahr. Im Wald werden alle Sinne angesprochen, so dass wir hier von einer ganzheitlichen Förderung sprechen können. Die Sinneswahrnehmung wird durch unzählige Eindrücke geschult. Dadurch werden die Intelligenz und das Wahrnehmungsvermögen angesprochen.
Sehen:
Die bunten Blumen; den blauen Himmel; den Nebel, der im Tal hängt etc.
Hören:
Die Vögel, die in den Bäumen zwitschern; das Rascheln der Blätter im Wind; Donnergrollen eines Gewitters etc.
Riechen:
Der Waldboden; wenn er nass ist; Baumrinde; Blumen etc.
Fühlen:
Hartes und weiches, trockenes, nasses, stacheliges und auch glitschiges Material
Motorische Förderung
Grobmotorik
Kinder lernen durch Bewegung und sie haben Spaß daran. Je mehr Möglichkeiten sie zum Bewegen haben, desto größer ist ihr Lernvermögen und desto ausgeglichener ist ihre Psyche. Gerade heutzutage, wo Medien und Konsum unser aller Leben bestimmen, ist das Spielen und Lernen in der freien Natur für Körper, Geist und Seele eine gute Voraussetzung für eine gesunde, ganzheitliche Entwicklung unserer Kinder. Hier können sie Erfahrungen sammeln und ihre eigenen Möglichkeiten und Grenzen kennenlernen. Sie entwickeln durch Hüpfen, Rutschen, Balancieren, Überwinden von Hindernissen im Wald spielerisch ein ausgeprägtes Selbstvertrauen.
Der Wald bietet optimale Voraussetzungen, um sich spontan und frei zu bewegen. Sie lernen ihre körperlichen Stärken, aber auch ihre Grenzen kennen.
Die Grobmotorik wird bei uns zusätzlich durch regelmäßige Seilaufbauten im Wald gefördert, in denen die Kinder herumklettern oder schaukeln können. Das kommt besonders den Kindern zugute, die sich eher auf niedrigen Hindernissen bewegen möchten.
Feinmotorik
Auch die Feinmotorik wird in unserem Waldkindergarten gefördert. Durch Schnitzen, Sägen, Hämmern, aber auch durch Malen, Schneiden und Kleben. Kleine Naturmaterialien wie Moos, Kastanien, Eicheln usw. regen die Kinder an, gestalterisch und kreativ zu werden.
Wertevermittlung
Wir leben den Kindern eine weltoffene Einstellung vor, sind religiös neutral, offen für alle Kulturen und Religionen. In dieser Beziehung ist Vorbild sein die beste Erziehung und dieses Kulturgut wollen wir unseren Kindern vermitteln. Wir feiern die Feste der Jahreszeit, oft auch mit den Eltern.
Sprachförderung
In unserem Kindergarten wird durch Lieder, Gedichte, Finger- und Kreisspiele die Kommunikation gefördert. Im Morgenkreis macht ein Erzählstein die Runde und ermutigt die Kinder, vor der Gruppe zu sprechen. Differenzierte Merk-und Sprachfähigkeit wird durch Sammeln, Ordnen und Rollenspiele, Erzählen von Geschichten und das Singen von Liedern trainiert.
Soziales Miteinander
Das Zusammensein in der Natur erfordert von jedem einzelnen Achtsamkeit und Zuverlässigkeit. Um Gefahren zu vermeiden, gibt es einige feste Regeln im Wald, die unbedingt eingehalten werden müssen. Diese sind eindeutig formuliert und werden den Kindern vermittelt:
„Keine Süßigkeiten mit in den Wald nehmen, weil das die Wespen und Bienen anlockt“
„Mit Stöcken wird nicht gerannt oder andere Kinder geschlagen“
„In Sichtweite bleiben“
„Klettern nur auf „freigegebenen“ Bäumen“
„Nichts essen, was wir im Wald finden“
„Achtsam sein mit den Lebewesen und der Natur“
Die Kinder lernen so, Verantwortung für sich und für die anderen zu übernehmen. Sie müssen Rücksicht auf Kleinere, Jüngere oder Schwächere nehmen und ihnen bei Aufgaben zur Seite stehen, z.B. beim Überqueren eines Baches oder beim Klettern auf einen Berg. Viele Aufgaben, wie etwa der Bau eines Waldschiffes, gelingen nur, wenn alle gemeinsam mithelfen und zusammenarbeiten.
Ökologisches Bewusstsein
Naturkundliches Wissen und ein ökologisches Bewusstsein schaffen wir, indem wir den Wald als Gast betreten und mit ihm leben und auf ihn achtgeben.
Der lebenspraktische Ansatz vermittelt alltagsrelevantes Wissen zur jahreszeitlichen Orientierung. Diese wird durch den täglichen Morgen- und Abschlusskreis, den Wochen- und Jahresstab, sowie durch Jahreszeitenpüppchen und – tisch vermittelt. Der Wald lässt Kinder Wind, Regen, Sonne, Kälte und Hitze im Wechsel der Jahreszeiten erleben. Dem kindlichen Aktivitäts- und Erfahrungsdrang kommen die Erlebnisräume in Wald, Feld und Flur entgegen. Wissensdurst, Lernbereitschaft und Verständnis für die Zusammenhänge in der Natur kommen da wie von selbst. Und Kinder für die Umwelt zu sensibilisieren, muss ein zentrales Anliegen von uns allen sein, damit diese Generation die Beziehung zur Natur wieder als Grundwert für das Leben verinnerlicht. Durch das Spielen und den Aufenthalt in der freien Natur erhalten die Kinder automatisch ein umfangreiches Wissen in naturkundlichen Themen. Sie sehen, wie sich der Baum jahreszeitlich verändert, sie lernen Insekten und ihre Lebensräume kennen und beschäftigen sich mit den Pflanzen im Wald. Dadurch entwickeln sie ein natürliches ökologisches Bewusstsein und lernen schon früh die Schönheit und Vielfalt unserer Natur zu schätzen und zu erhalten. Dies verstärken wir als Vorbilder durch einen nachhaltigen Umgang.
Kreativität und Phantasie
Der Wald ist der vielfältigste, naturnahe Lebensraum unserer Landschaft und bietet aufgrund seiner Struktur vom Baumwipfel über gefallene Stämme, Steine und Felsen bis zu Kuhlen, Höhlen und Rinnen und der Vielzahl seiner Materialien schier unerschöpfliche Möglichkeiten zum Spielen, Entdecken und Lernen. Da kein vorgefertigtes Spielzeug vorhanden ist, werden die Phantasie und Kreativität des Kindes in besonderem Maße angeregt. Das für das Spiel oder die Bastelidee benötigte Material muss erst entdeckt, gesucht und einer neuen Funktion zugeordnet werden: Stöcke werden zu Angeln, Blätter zu Fischen etc. Ton eignet sich für das bildhafte Gestalten; Blüten, Blattgrün und Erde als Farben, Tannenzapfen als Puppen und Blätter als Puppenkleider. Nicht ohne Grund wird die Zeit vom 3. – 5. Lebensjahr auch als ‘Phantasiealter’ bezeichnet. Viele Märchen, Sagen und Geschichten haben den Wald als Handlungsspielraum. Durch das Erzählen der Geschichten im Wald werden diese für das Kind lebendig.
Gesundheit
Die körperliche Gesundheit der Kinder wird durch den ständigen Kontakt mit der Natur gefördert: Dadurch, dass die Kinder fast immer in Bewegung sind, entwickeln sie eine gute Kondition. An fallende Temperaturen und nasskalte Witterung gewöhnen sich die Kinder schnell. Sie bekommen durch den regelmäßigen Aufenthalt in der freien Natur nicht nur seltener Infekte, sondern das Immunsystem wird durch diese Reize sogar gestärkt.
Die vielen sinnlichen Eindrücke der Natur im Wald wie auch die Ruhe des Waldes helfen den Kindern, zu einem inneren Gleichgewicht zu finden und beeinflussen so die seelische Entwicklung der Kinder positiv. Wir achten außerdem darauf, dass die Kinder ein gesundes, abwechslungsreiches Vesper und Wasser oder warmen Tee von Zuhause mitbringen. Einmal im Jahr besucht uns auch der Zahnarzt und weist uns in die richtige Zahnpflege ein.
Ringen, Rangeln, Kräftemessen
Auch bei uns im Kindergartenalltag oder aus bestimmten Spielgeschehen heraus entstehen immer wieder Situationen, die für Unbeteiligte nach einer ernsten Rangelei aussehen.
Dabei wird aber unter den Kindern keineswegs ein Konflikt ausgetragen, sondern es geht dabei um ein faires und freudvolles Ringen und Rangeln, bei dem die Kinder ihre Kräfte erproben und sich mit anderen messen wollen. In Situationen, in denen wir uns sicher sind, dass das Rangeln ohne Aggressionen geschieht, lassen wir die Kinder in ihrem Spielfluss. Sie sollen und dürfen bei uns Erfahrungen im Umgang mit körperlicher Nähe und Distanz bzw. mit eigenen und fremden Grenzen sammeln.
Aus diesem Grund ist Ringen und Raufen für uns ein wertvolles und entwicklungsförderndes Thema, das durchaus bestimmten Regeln folgt und von gegenseitigem Respekt getragen ist.
Bei Beobachtern kann bisweilen der Eindruck entstehen, dass die rangelnden Kinder keiner Regel folgen. Wenn man aber genauer hinschaut, ist zu erkennen, dass die Kinder respektvoll und sensibel miteinander umgehen. Das wenige, das nötig ist, um eine Rauferei freudvoll zu Ende zu führen, wird nicht selten währenddessen ausgehandelt. Dies geschieht häufig ohne Worte allein durch das Gefühl für Grenzen und Grenzüberschreitungen und durch das Bewusstsein, für sich und den Partner verantwortlich zu sein. Dazu kommt, dass wir mit den Kindern immer wieder die Regeln und Grenzen besprechen.
Wir als Erzieher haben hier die Aufgabe genau zu beobachten, wann aus einer friedlichen Rangelei ein ernster Konflikt wird, um dann sofort schlichtend einzugreifen.
Partizipation
Partizipation verstehen wir als Form des Zusammenlebens und des Umgangs miteinander. Hierbei erfahren die Interessen und Bedürfnisse von allen im Waldkindergarten gleiche Wertschätzung. Um Partizipation bei den Wald-Igeln zu gewährleisten sind die pädagogischen Mitarbeiter offen und bereit, Kompetenzen und Macht zu teilen. Sie hören aktiv zu, unterstützen die Kinder, ihre Wünsche angemessen und verständlich zu äußern, sie zeigen Einfühlungsvermögen und bieten den Kindern inhaltliche Anregungen. Sie ermutigen die Kinder ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten zu nutzen. Partizipation im Sinne einer gelebten Beteiligungskultur zeigt sich bei den Wald-Igeln u.a. bei der gemeinsamen Gestaltung des Alltags. Das gemeinsame Entwickeln der Regeln und Rituale für das Zusammensein im Waldkindergarten ist ebenso ein Element der Partizipation wie das gemeinsame Planen, Durchführen und Reflektieren von Aktionen, Projekten und Festen und die gegenseitige Teilhabe an Erlebnissen, Gefühlen, Ideen und Befindlichkeiten. Echte Teilhabe praktizieren wir bei den Wald-Igeln beispielsweise in der regelmäßigen Kinderkonferenz, einer täglichen Rückmelderunde.